Meteor – 18.06.2023
Tag 11 unserer Reise – Im Broken Spur Hydrothermalfeld
Am Morgen startet das ROV zu einem weiteren Tauchgang. Wir sind noch immer im Broken Spur Hydrothermalfeld. Nach gut zwei Stunden haben wir Bodensicht, sehen erneut Pillowlaven am Meeresboden. Wieder haben sich viele im Universallabor zusammengefunden und blicken auf die Leinwand, auf die die Kamerabilder des Quest 4000 übertragen werden. Das ROV bewegt sich zunächst in östliche Richtung. Nach kurzer Wegstrecke zeigt das Altimeter plötzlich mehr als 30 m Höhe über dem Meeresboden an. Wir haben den steilen Abbruch der westlichen Grabenschulter erreicht, orientieren uns kurz auf der Karte. Das ROV taucht ab in den Graben und fliegt dann weiter in nördliche Richtung. Nach wenigen Minuten sehen wir im Kamerabild einen Schwarzer Raucher. Wir haben das erste Ziel des Tages erreicht: Saracen’s Head. Über zehn Meter hoch steht der Schwarze Raucher selbst auf einem Hügel. Langsam steigt das ROV entlang der Struktur nach oben. Anemonen, weiße quirlige Garnelen, größere weißlich-gelblich Krebse, kleine Schlangensterne – wir sehen eindrucksvolle Bilder eines sehr vielfältigen Ökosystems in gut 3.000 m Wassertiefe. Die Oberfläche des Schwarzen Rauchers ist nicht glatt, sondern rau und knubbelig. Die Farben variieren von einem leicht gelblichen Braun zu rostroten Farbtönen, dazwischen immer wieder weiße Bereiche. Und immer wieder sehen wir rundliche Formen, die wie Balkone an einer Hauswand hervorragen (im Englischen als flange structures bezeichnet). Manche messen in der Horizontalen weniger Dezimeter, andere sind deutlich breiter. Unter ihnen quillt schwarzer Rauch hervor und steigt nach oben in die Wassersäule. Unzählige weiße Garnelen tummeln sich auf dem hervorstehenden „Balkon“ und werden von der Rauchfahne umspült – Nahrung für die mit den Garnelen im Symbiose lebenden Bakterien.
Im oberen Bereich erreichen wir eine Stelle, an der schwarzer Rauch mit hoher Geschwindigkeit hervorquillt. Die pulsierende Rauchfahne sieht fast so aus, als würde sie kochen. Die eigentliche Austrittsstelle misst nur wenige Zentimeter im Durchmesser. Überall sind weiße Garnelen. Diese Stelle ist ideal für die erste Probenahme des Tages. Der Pilot parkt das ROV ein, setzt es in eine stabile Position auf einem kleinen Absatz unterhalb der Austrittsstelle. Nun kann die Beprobung beginnen.
Vom Universallabor aus verfolgen wir die Szene. Langsam bewegt sich der Greifarm, nimmt die erste von zwei Probengefäßen aus der Halterung im vorderen Bereich des ROVs. Dies sind die sogenannten „Titan majors“, Stahlgefäße, die speziell für die Probenahme heißer Hydrothermalfluide (in Broken Spur sind sie bis zu 360 °C heiß) konstruiert wurden. Eine starke Stahlfeder hält einen Stempel innerhalb des Probengefäßes heruntergedrückt. Im unteren Bereich des Probengefäßes ist außen ein etwa 20 cm langer gebogener Ansaugstutzen. Der wird zunächst mit dem Greifarm des ROVs in die Austrittsstelle eingeführt. Wenn alles richtig positioniert ist, erfolgt die eigentliche Probenahme. Wir sehen, wie sich am Greifarm ein Stempel nach unten bewegt und einen Auslösemechanismus am Stahlgefäß drückt. Sofort öffnet sich die Stahlfeder und zieht dabei den bis eben noch gespannten Stempel im Inneren des „Titan majors“ nach oben. Dadurch wird das heiße Fluid über den Ansaugstutzen in den Probenbehälter eingesaugt. Wenn das Gefäß voll ist, schließt sich automatisch ein Ventil, und die Probe ist genommen. Nun muss der Greifarm noch das Probengefäß sicher in seiner Halterung am ROV verstauen. Auch der zweite „Titan major“ wird hier befüllt. Danach wird noch die austretende schwarze Rauchfahne in drei verschiedenen Höhen über der Austrittsstelle mit den sogenannten Niskin-Flaschen beprobt. Dies sind Kunststofflaschen mit je 5 L Fassungsvermögen, von der Bauart und Funktionsweise wie die Flaschen am Kranzwasserschöpfer. Die Probenahme dient dazu, die Ausbreitung des hydrothermalen Fluids in der Wassersäule zu verstehen, hier vor allem die chemischen und mikrobiologischen Änderungen zu erfassen.
Die Beprobung der heißen Fluide und der Rauchfahne, zwei wichtige Ziele des heutigen Tauchgangs sind abgeschlossen. Im Folgenden umrunden wir Saracen’s Head auf der Suche nach Austrittsstellen von warmem Fluid, an denen wir hoffen, Muscheln zu finden. Inzwischen haben Ana und ich Wolfgang und Christian im ROV- Steuercontainer abgelöst. Gemeinsam mit den beiden ROV-Piloten verfolgen wir aufmerksam die Kamerabilder während unserer Umrundung des Schwarzen Rauchers. Wir wissen von früheren Arbeiten, dass Muscheln selten sind an Saracen’s Head. Aber dann sehen wir die erste Muschel, fast gleichzeitig meldet sich jemand aus dem Universallabor: auch sie haben die Muschel entdeckt. In der Nähe sehen wir sogenanntes „shimmering water“. Wie Schlieren im Wasser sieht es aus, hervorgerufen durch den Unterschied in der Temperatur. Das Bild erinnert an die flirrende Hitze über der Asphaltdecke einer Straße im heißen Sommer. Nachdem auch hier das ROV in einer stabilen Position eingeparkt wurde, wird mit dem Greifarm ein Ansaugstutzen im austretenden „shimmering water“ positioniert. Erneut wird eine Probe genommen. Dieses warme Wasser ist eine Mischung aus dem heißen Fluid im Untergrund und dem normalen Meerwasser, die Temperatur ist wenige 10er Grad Celsius. Die Muschel hat in ihren Kiemen wieder symbiontische Bakterien, für die die gelösten Inhaltsstoffe im „shimmering water“ die Nahrungsgrundlage darstellen. Nachdem die Fluidprobe genommen ist und der Ansaugstutzen wieder am ROV verstaut wurde, soll die Muschel eingesammelt werden. Untersucht werden sollen die Bakterien und ihr Stoffwechsel. Nun kommt ein Muschelnetz zum Einsatz. Es ist gar nicht so einfach, da die Muschel sich mit sogenannten Byssusfäden am Gestein „festgeklebt“ hat. Ana und ich blicken dem Co-Pilot über die Schulter. Er hat vor sich eine verkleinerte Version des Greifarms. Mit großer Erfahrung und ruhiger Hand gelingt es ihm, und die Muschel ist im Netz; zwei weitere folgen im Laufe des Nachmittags.
Nach zwei Stunden werden wir von Isabel und Eva im Steuercontainer abgelöst. Sie werden bis zum Ende des ROV-Tauchgangs gemeinsam mit den Piloten die wissenschaftlichen Arbeiten am Meeresboden abschließen. Das ROV fliegt einen weiteren Schwarzen Raucher im Broken Spur Hydrothermalfeld an: Spire, eine säulenartige Struktur, ebenfalls mehrere Meter hoch. Während ich im Labor meine Probengefäße für die anstehenden Arbeiten vorbereite, werden noch eine weitere Fluidprobe und zwei Stücke eines Schwarzen Rauchers genommen.
Um 20:00 Uhr kommt das ROV an Deck. Nachdem alles gesichert ist, dürfen wir ans Gerät und unsere verschiedenen Proben holen. Nach und nach verschwinden alle in den Laboren, in denen nun geschäftiges Treiben herrscht. Die Proben werden aufgeteilt, mikrobiologische und chemische Arbeiten beginnen.
Parallel wird bereits der Kranzwasserschöpfer vorbereitet, das Nachtprogramm. Dieser soll wieder in der schwarzen Rauchfahne in 3.000 m Wassertiefe positioniert werden. Erneut sind zwei in-situ-Pumpen oberhalb des Flaschenkranzes festgemacht. Über Stunden werden sie Wasser über Filter pumpen. Natürlich muss von der Wissenschaft auch mindestens eine Person vor Ort sein. Diejenigen, die mit ihren Laborarbeiten fertig sind oder bald fertig werden, werden sich diese Aufgabe teilen. Meine „Schicht“ ist von 3 bis 5 Uhr morgens.